Hallo Maik, hallo Eike, vielen Dank, dass ihr euch Zeit für uns nehmt.
Maik: Gern geschehen!
Eike: Danke für die Einladung!
Könnt ihr euch kurz vorstellen? Wer oder was ist framtid, und was sind eure Ziele?
Eike: Wir sind klassische Finanz- und Versicherungsmakler mit Büros in Berlin-Kreuzberg und Hamburg-Winterhude. framtid kommt aus den skandinavischen Sprachen und bedeutet "Zukunft". Wir haben uns dazu entschieden, die Versicherungsbranche nachhaltiger zu gestalten und langfristig auszurichten.
Maik: Unser Hauptaugenmerk liegt auf Nachhaltigkeit. Wir möchten den Menschen bewusst machen, dass Geldanlagen und Versicherungen Auswirkungen haben. Während viele Menschen bereits darüber nachdenken, bei welcher Bank sie sind, stehen Versicherungen noch am Anfang dieses Bewusstseins. Wir gehören zu den Pionieren, die dieses Thema seit Langem vorantreiben.
Wie lange gibt es framtid bereits?
Eike: Eigentlich schon seit den 1980er Jahren. Mit einer Umstrukturierung im Unternehmen 2015 haben wir uns dazu entschlossen, den nachhaltigen Weg noch konsequenter zu gehen und beispielsweise ausschließlich Geldanlagen mit nachhaltiger Ausrichtung anzubieten.
Könnt ihr uns erklären, wie konventionelle Versicherungen das Geld, das von den Kund:innen für Kranken-, Haftpflicht- oder Hausratversicherungen bezahlt wird, verwenden?
Eike: Stellt euch Versicherungen wie große Töpfe vor, in die alle Versicherungsbeiträge fließen. Das wird als Sicherungsvermögen bezeichnet. In Sachversicherungen wie Haftpflicht und Hausrat, aber auch der Krankenversicherung gilt das Umlageprinzip: Einige zahlen Geld ein, während andere es für Leistungen benötigen, sei es im Krankenhaus, nach einem Unfall oder bei Diebstahl. Das Geld bleibt nicht lange im Topf. Bei Lebensversicherungen und Altersvorsorgeprodukten hingegen werden Gelder über längere Zeiträume angelegt. Versicherungsunternehmen tätigen verschiedene Investments. Darunter fallen Aktiendepots und andere Investitionen mit hohen Renditechancen, die jedoch oft aus problematischen Branchen stammen. Hier gibt es Raum für Verbesserungen im Sinne der Nachhaltigkeit.
Wie definiert ihr nachhaltige oder grüne Versicherungen? Nach welchen Kriterien wählt ihr eure Produkte und Dienstleister aus, um sicherzustellen, dass sie umweltfreundlich und sozial verantwortlich sind?
Eike: Wir bewerten Versicherungen nach ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Kriterien und differenzieren zwischen hellgrünen, dunkelgrünen und dazwischenliegenden Angeboten. Wir analysieren, wie Unternehmen Nachhaltigkeitsstandards umsetzen, wie sie Kapital anlegen und ob sie z.B. Ausschlusskriterien für problematische Branchen wie Kohle, Atomkraft oder Rüstung haben. Zudem prüfen wir die finanzielle Stärke der Versicherung, damit auch größere Schadensfälle aufgefangen werden können. Und es gibt natürlich den Gedanken der Solidargemeinschaft. Einige Versicherungen haben sich z.B. quasi genossenschaftlich in Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit organisiert, um wegzukommen von der reinen Profitorientierung, die bei Aktiengesellschaften im Vordergrund stehen.
Können eure Kund:innen diese Informationen leicht verstehen? Welche Rolle spielt Transparenz in eurer Arbeit? Können Kund:innen wie bei der GLS-Bank zu euch kommen und sagen, sie möchten, dass ihr Geld beispielsweise in ökologische Landwirtschaft investiert wird, und ihr habt die passende Versicherung für sie?
Eike: Leider können wir nicht so weit gehen, dass wir oder die Kund:innen festlegen können, in welchen Bereich das Geld durch die Versicherung fließt. Wir können durch die Auswahl des Versicherers und des zur Verfügung stehenden Fondsuniversums aber Näherungen vornehmen.
Maik: Wir bemühen uns, in Beratungen alles so transparent wie möglich zu gestalten. Hier setzen uns die Informationen der Versicherungsunternehmen aber Grenzen. In Dialogen mit den Versicherungsunternehmen wiederum können wir unsere Vorstellungen von ökologischer und sozialer Kapitalanlage vermitteln. Die Definition von Nachhaltigkeit ist jedoch immer noch nicht eindeutig. Es gibt auch keinen glasklaren Rahmen für nachhaltige Kapitalanlagen. Es ist eine positive Entwicklung, dass es seit letztem Jahr durch EU-Verordnungen erste Schritte in diese Richtung gibt, aber es wird noch einige Zeit dauern, bis wir die Fortschritte messen können. Die Versicherungsbranche ist aber in Bewegung gekommen, da sich jetzt alle mit dem Thema beschäftigen müssen. Mit welchen Konsequenzen werden wir uns dann im Einzelfall ansehen und über die Zeit verfolgen, was wirklich umgesetzt wird.
Wie wirken sich die EU-Verordnungen auf nachhaltige Versicherungen aus? Welche Herausforderungen gibt es bei der Förderung nachhaltiger Versicherungen in einer Branche, die traditionell auf finanzielle Aspekte fokussiert ist?
Maik: Die EU-Taxonomie-Verordnung zielt hauptsächlich darauf ab, Kapitalanlagen zu klassifizieren und klare Unterscheidungen zwischen konventionellen und nachhaltigen Versicherungsprodukten zu treffen. So ist für uns und viele Kund:innen unverständlich, warum Gas- und Atomkraft als nachhaltig eingestuft wurden. In Beratungen müssen wir beispielsweise Kund:innen aktiv auf das Thema Nachhaltigkeit, insbesondere bei Anlageprodukten (z.B. private Rentenversicherung und Geldanlage), ansprechen. Dabei ist die Herausforderung, eine persönliche Definitionen für Nachhaltigkeit zu finden, weil jeder etwas anderes unter dem Thema versteht.
Wie begegnet ihr dem Missverständnis, dass nachhaltige Versicherungen teurer sein könnten oder weniger umfassenden Schutz bieten als herkömmliche Versicherungen?
Eike: Dies ist eine positive Herausforderung für uns, da wir als Makler zwischen den Kund:innen und den Versicherungsunternehmen stehen. Die Nachfrage nach nachhaltigen Versicherungen ist da. Einige Versicherungsunternehmen arbeiten daran, ihre Geldanlagen nachhaltiger zu gestalten. Beide Seiten können wir hier also gut zusammenbringen. Langzeitstudien haben ergeben, dass nachhaltige Geldanlagen unterm Strich nicht schlechter als konventionelle Anlagen laufen, teilweise sogar besser. Dass einzelne Versicherungen immer noch Aufschläge für nachhaltige Tarife nehmen, muss sich ändern, insbesondere um die jüngere Generation zu erreichen.
Ihr habt David und den Lehm-Laden durch die GWÖ-Bewegung kennengelernt. Ihr seid wie wir ein GWÖ-bilanzierendes Unternehmen. Was hat euch zu diesem Schritt bewogen? Was hat sich seitdem verändert?
Maik: Der Anstoß dazu ergab sich aus unserem Wunsch, unser Tun selbstkritisch zu hinterfragen. Wir haben schon lange erkannt, dass wir uns von anderen Akteuren auf dem Markt unterscheiden und viele Dinge anders angehen – nicht nur beim Thema Nachhaltigkeit. In unserer Branche sind beispielsweise viele Mitarbeiter:innen nicht
fest angestellt, sondern arbeiten als Handelsvertreter selbstständig. Ihre Einkünfte hängen davon ab, wie viele und welche Versicherungsprodukte sie verkaufen. Das kann dazu führen, dass sie möglicherweise Produkte forcieren, die nicht unbedingt im besten Interesse ihrer Kund:innen liegen, sondern eher dazu dienen, ihre eigenen Einkünfte zu sichern.
Heißt das, dass Versicherungsvertreter nur Provisionen erhalten?
Maik: Ja und nein. Auch wir erhalten Provisionen, die einen Teil unserer Einnahmen ausmachen. Der entscheidende Unterschied besteht jedoch darin, dass bei uns alle Mitarbeiter:innen mit einem Fixgehalt angestellt sind und reguläre sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse haben. Niemand bei uns im Haus soll dadurch den Druck haben, Kund:innen zum eigenen Vorteil zu beraten, sondern die langfristige Kundenbeziehung im Fokus zu haben.
Das bedeutet, man kann allein von dem Fixgehalt leben?
Maik: Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Unsere Mitarbeiter:innen werden unabhängig von ihrer Position im Unternehmen festangestellt vergütet. Egal, ob jemand in der Beratung tätig ist oder im Büro arbeitet. Jede Person leistet ihren Beitrag zum Unternehmenserfolg und das wird auch gesondert für alle gemeinsam honoriert, wenn das das Unternehmen erfolgreich ist. In dieser Hinsicht unterscheiden wir uns von vielen anderen Unternehmen, bei denen die einzelnen Mitarbeitenden nur für ihren eigenen Erfolg verantwortlich sind. Bei uns ist das also immer eine Teamleistung, zu der alle ihren Teil beitragen. Das sorgt auch für eine sehr viel teamorientiertere Zusammenarbeit.
Ihr habt in euren vorherigen Antworten immer wieder die Altersvorsorge erwähnt. Könnt ihr ein konkretes Beispiel für ein empfehlenswertes Versicherungsprodukt im Bereich der Altersvorsorge nennen?
Maik: Wir haben ein eigenes Altersvorsorgekonzept entwickelt, das aus kritischen Fragen von Kund:innen entstanden ist und bereits im Jahr 1996 ins Leben gerufen wurde. Anstelle eine eigene Versicherungsgesellschaft zu gründen, haben wir uns dafür entschieden, mit den bestehenden Strukturen zu arbeiten. Das bedeutet, dass wir die vorhandenen Versicherungsprodukte der Versicherer nutzen und die Art und Weise der Geldanlage beeinflussen. Mit dem transparente-Konzept können wir sicherstellen, dass Geldanlagen in Rüstung, Atomenergie, fossile Energieträger und Kinderarbeit ausgeschlossen sind und gleichzeitig Positivkriterien wie Investitionen in erneuerbare Energien eingehalten werden. Dieser Ansatz ist vergleichbar mit dem Strommarkt. Als die Nutzung erneuerbarer Energien und die Anti-Atomkraftbewegung Fahrt aufnahmen, haben viele Menschen den Wunsch nach mehr erneuerbarer Energie geäußert. Dennoch hat niemand vorgeschlagen, ein eigenes Stromnetz zu errichten. Das bestehende Netz ist funktions- aber ausbaufähig. Es geht vielmehr darum, welcher Art von Energie wir erlauben, in dieses Netz eingespeist zu werden - also welche Kapitalanlage die Versicherungsunternehmen tätigen.So ist unser transparente-Konzept als offene Einladung an die Versicherungsunternehmen zu verstehen, sich mit uns austauschen und das Konzept kooperativ umzusetzen.
Ich würde gerne auf den Bereich zu sprechen kommen, in dem unsere Arbeit sich überschneidet. Habt ihr Ratschläge für grüne Wohngebäudeversicherungen? Gibt es möglicherweise bereits Produkte, die sich auf ökologische Häuser spezialisieren?
Eike: Bisher sind Versicherungen speziell für ökologische Wohngebäude noch selten. Dies liegt daran, dass Versicherungen in der Regel verschiedene Risiken in einer Mischkalkulation berücksichtigen. So stellt ein altes Landhaus mit Holzständerbauweise und Reetdach ein höheres Risiko für die Versicherung dar als ein Beton-Neubau mit Ziegeldach. Genauso wie ein Haus an der Küste im Vergleich zum Stadthaus im Landesinneren. Dennoch gibt es regionale Versicherungsunternehmen, die Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit sind und ihren Kund:innen nach einem Schadensfall zusätzliche Leistungen für ökologische Sanierungen, Energieeffizienzberatungen und CO2-Kompensation nach Brandschäden anbieten. Aufgrund dieser Vielfältigkeit und individuellen Umstände ist eine umfassende Beratung wichtig.
Ihr habt auf den weitreichenden Einfluss des Klimawandels auf die Versicherungsbranche hingewiesen. Müssten Versicherungsunternehmen nicht allein aus Eigeninteresse nachhaltiger werden?
Maik: Das geschieht bereits. Die Erfahrungen im Ahrtal haben gezeigt, dass die Branche und das Bewusstsein für diese Thematik in Bewegung geraten sind. Regelmäßiger werdende Unwetterkatastrophen und Extremwetterereignisse in diesem Ausmaß sind für die Branche auf Dauer schlicht nicht tragbar. Ein einzelner Versicherer kann derartige Risiken nicht allein bewältigen und ist auf Rückversicherer angewiesen. Wenn beispielsweise 10% der Gebäude, die von einem regionalen Versicherer versichert sind, durch Überschwemmungen oder Brände zerstört werden, kann dieser die finanzielle Belastung nicht allein stemmen. Auch die Rückversicherer sehen sich daher zunehmend genauer an, welche Risiken zu welchem Preis gezeichnet werden. Daher investieren Rückversicherer verstärkt in die Klimaforschung und suchen Wege, um sich diesen Herausforderungen zu stellen.
Eike: Das Umdenken findet statt. Schließlich betreffen die großen gesellschaftlichen Herausforderungen wie demografische Veränderungen, der Klimawandel und die Digitalisierung auch die Versicherungsbranche. Diese Unternehmen müssen sich neu ausrichten und anpassen. Insgesamt sehen wir darin viele Vorteile. Es ist wichtig, dass junge Menschen über ihre Altersvorsorge nachdenken. Die gesetzliche Rente allein bietet heutzutage keine ausreichende Absicherung. Wer sich nicht rechtzeitig darum kümmert, läuft Gefahr, im Alter arm zu sein. Versicherungen müssen daher nachhaltige Produkte anbieten, um die jüngere Generation zu erreichen. Ich bin optimistisch und glaube, dass auch hier die laute Stimme der Klimabewegung nicht mehr ignoriert werden kann.
Denkt die Generation denn überhaupt an ihre Rente? Ich kenne viele 20 bis 30 Jährige aus dem Umfeld der FFF-Bewegung, die sagen: Warum soll ich etwas für meine Rente tun? Wenn sich nicht bald etwas ändert, gibt es die Erde in 30 Jahren gar nicht mehr…
Eike: Ja, es gibt auch immer mehr junge Menschen, die angesichts dystopischer Zukunftsszenarien keine Kinder mehr bekommen möchten. Ich kann das ansatzweise nachvollziehen, teile die Schlussfolgerung aber am Ende nicht. Als Gesellschaft haben wir immer die Chance, Probleme aktiv und positiv in die Hand zu nehmen, was in der Vergangenheit bereits schon funktioniert hat, bspw. Anti-AKW. Klar kommt gerade sehr viel zusammen: Klimakrise, Corona-Müdigkeit, Krieg, Inflation, das ist natürlich heftig. Wir haben einige Kipppunkte erreicht und die Investitionen an Finanzmärkten reißen die Pariser Klimaziele mit einem „Weiter so“ dramatisch. Es sieht alles andere als rosig aus. Aber die jungen Menschen gehen ja auch in die Politik und werden diese Themen endlich angehen und Rahmen schaffen. Ich glaube an das Gute im Menschen, auch wenn natürlich größere Strukturen da sind, die man angehen muss.
Maik: Ich schließe mich an. Trotz aktuellen Herausforderungen und Klimafragen sollten wir positiv bleiben. Junge Menschen in der Politik werden diese Themen vorantreiben und gesetzliche Rahmenbedingungen verbessern. Wir alle können individuell richtige Entscheidungen treffen und auch Druck auf die Politik ausüben, um Veränderungen herbeizuführen. Wir werden beides brauchen.
Wie sieht Eurer Meinung nach die Zukunft nachhaltiger Versicherungen aus? Welche Entwicklungen oder Innovationen erwartet ihr? Was wünscht ihr euch?
Maik: Unser Wunsch ist, dass nachhaltige Investitionen im Versicherungssektor so dominant und selbstverständlich werden, dass konventionelle Investitionen mehr und mehr verschwinden. Ähnlich wie neue Kohlekraftwerke in Deutschland nicht mehr wirtschaftlich gebaut werden können, sollten konventionelle Investitionen einfach nicht mehr attraktiv sein. Die Anlagehorizonte der Versicherungsunternehmen sind jedoch lang, und Entscheidungen wirken über Jahrzehnte. Die Realisierung dieses Wunsches hängt zum einen von kritischen Verbraucher:innen und zum anderen von wirtschaftlichen Anreizen und gesetzlichen Rahmenbedingungen ab. Die Versicherungen werden, wie Unternehmen in anderen Branchen auch, grüner werden müssen, um auf dem Markt zu bestehen. Der Zeitrahmen für diese Veränderung hängt von der Sparte ab. Im Lebensversicherungsbereich sind Anlagehorizonte lang, weshalb schlechte Entscheidungen langanhaltende Auswirkungen haben. Druck könnte auch durch unversicherbare Regionen und Graswurzelbewegungen entstehen. Dieser möglichen wirtschaftlichen Konsequenz der Versicherungsunternehmen wird sich dann auch die Politik nicht verschließen können. Niemand kann es gutheißen, wenn ganze Regionen unversicherbar werden. Schließlich wird eine Kombination aus Regulierung und gesellschaftlichem Engagement notwendig sein, um eine nachhaltigere Zukunft in der Versicherungsbranche zu gestalten.