An diese alten Materialien dran zu kommen, ist in unserer rationalisierten und ökonomisierten Gesellschaft gar nicht so einfach
Ein Gespräch über Bauabfall, Rückbau und Cradle to cradle mit Raffael Czychelski von Manonatur



Wie wir bauen, schadet dem Klima. Ca. 40% der deutschen CO2-Emissionen werden durch die Bau- und Immobilienwirtschaft verursacht. Gleichzeitig produziert die Bauindustrie jedes Jahr Millionen Tonnen von Abfall, über 50% des Brutto-Abfallaufkommens in Deutschland kommt vom Bau. Der Bauschutt wird zu 90% wiederverwertet. Klingt leider besser als es ist. Durchaus hochwertige Baumaterialien, die nochmal benutzt werden könnten, werden als billiges Füllmaterial bspw. im Straßenbau “verwertet”. Die wirkliche Wiedernutzung von Material liegt aktuell bei ca. 1%. Wir müssen dringend mehr über Ressourceneffizienz, Baustoffrecycling und zirkuläres Bauen nachdenken. Durch die immer spürbarer werdende Klimakrise und die Erkenntnis, dass Bauabfälle sich grundsätzlich für eine Kreislaufwirtschaft eignen, gewinnt der Rückbau von Gebäuden an Bedeutung. Wir haben mit Raffael Czychelski von Manonatur gesprochen, der aktiv gegen die Verschrottung von Baumaterialien vorgeht und historische Baustoffe rettet. 



Magst Du Euch und Euren Betrieb Manonatur kurz vorstellen? Welche Arbeiten macht ihr?


Ja, wir sind jetzt in unserem fünften Jahr. Unser Schwerpunkt ist ökologisches Bauen und die Sanierung und Erhaltung von alten Häusern. Das ist mein persönlicher Lieblingsbereich: Fachwerkhäuser, Bauernhäuser und andere urtümliche Häuser. Da machen wir eigentlich die ganze Bandbreite außer Elektroinstallation und Heizungsarbeiten. (Außer natürlich Wandheizung, das machen wir auch.) Wir decken Zimmerer-, Tischler- und Maurerarbeiten ab. Wir können die Gebäudehülle sanieren, Fachwerk, Mauerwerk, Fenster und Türen reparieren, den ganzen Innenausbau oder auch eine Dachsanierung machen. Eigentlich können wir ein all-inclusive-Paket anbieten. 

Kontakt zum Raffael


Macht ihr nicht sogar auch noch die Gartengestaltung? 


Ja, eher weniger.  Anfangs hatte ich zwei Projekte. Das hat sich leider nicht weiter entwickelt. Einer meiner Mitarbeiter ist gelernter Garten- und Landschaftsbauer. Wir kommen also auch im Außenbereich zurecht, aber leider gibt es hier bei uns keine Nachfrage.


Wie bist Du zum Handwerk gekommen?


Handwerk war schon als Kind ein Thema für mich. Mein Opa hat mich viel gefördert und mir viel beigebracht. Meine Eltern haben mir auch die Möglichkeit gegeben, indem sie mir eine kleine Werkbank und Werkzeug geschenkt haben. 


Seit wann baut ihr ökologisch? Gab es einen Auslöser?


Ich mache das jetzt seit zehn Jahren. Davor habe ich schon mal konventionell gebaut. Da hatte ich dann Gipskarton und Mineralwolle in der Hand. Aber das hat mir eigentlich nie so richtig Spaß gemacht. Bei meiner ersten eigenen Wohnung wollte ich dann unbedingt Lehmputz machen. Das war eigentlich der Startschuss. Der Betrieb ist seit jeher ökologisch.


Welches Handwerk hast Du gelernt?


Ich bin gelernter Tischler. Der Lehm ist nach und nach dazugekommen. Die Tischlerei, in der ich gelernt habe, war zum Glück auch ein ökologisch ausgerichteter Betrieb. Da haben wir auch Lehmbauplatten und Lehmputz verarbeitet und auch Lehmwandheizungen gemacht. Es folgten ein paar Jahre in der Zimmerei. Da habe ich viel Fachwerksanierung gemacht und die Gefache wie früher ausgemauert, also weiche Backsteine, mit Lehmmörtel gemauert, mit Kalk verfugt. So kam immer mehr Lehm dazu, bis ich dann gesagt habe: Ja, das kann ich jetzt auch anbieten.



Euer Fachgebiet sind Sanierungen und Umbauten. Warum macht ihr das so gerne? 


Zum einen finden wir die alte Bausubstanz häufig schöner und wollen sie folglich aus ästhetischen Gründen gern erhalten und schützen. Zum anderen ist es aus ökologischer Sicht natürlich immer viel sinnvoller, ein altes Haus zu sanieren und zu erhalten, als es abzureißen und was Neues hinzusetzen. Der Ressourcenverbrauch ist einfach viel geringer. Natürlich ist der Arbeitsaufwand höher, weswegen sich dann viele doch dagegen entscheiden. Mit Maschineneinsatz abreißen und neu bauen ist schneller und oft auch günstiger. Materialien sind heute vor allem im konventionellen Rahmen eher günstig. Aber was man an Materialien spart, wenn man Gebäude erhält, ist einfach enorm. 


Macht ihr auch Neubau? Ist er überhaupt noch zeitgemäß? Und wenn ja, wie?


Wir machen Neubau, aber eher so in Form von Anbau oder Aufstockung. Wir haben bisher noch kein Einfamilienhaus gebaut, würden es aber tun. Allerdings nur als Strohballenbau, so machen wir auch die Anbauten, oder als traditionelle Ständer- oder Skelettbauweise aus Holz und dann die Wände mit Hanfkalksteinen. Das sind die beiden Varianten, die meiner Meinung nach noch vertretbar sind. Massivholzhäuser finde ich zum Beispiel auch nicht in Ordnung. Holzdämmstoffe finde ich auch nicht so toll. Hanf ist einfach sehr viel besser, wächst viel schneller nach und ist demnach ökologischer.



Wie seid ihr zu dem aktuellen Rückbauprojekt gekommen? Es ist ja das erste in der Größenordnung. Ihr baut ein ganzes Haus zurück. Warum macht ihr das? 


Eine Frau, die wusste, dass ich mich für historische Steine und Baumaterialien interessiere, ist auf mich zugekommen. Sie hat ein altes Haus in unserem Ort gekauft. Es stand noch unter Denkmalschutz, war aber schon so ruinös, dass sie es jetzt abreißen dürfen. Sie wollte wissen, ob wir Interesse daran hätten. Wir sind hin und haben verhandelt und bald angefangen. Am Anfang war mir das auch ne Nummer zu groß. Die haben sich das so vorgestellt, dass wir den Abriss machen und halt das Material bekommen. Das ging aber nicht. Vieles von dem Material ist nichts mehr wert, viele Holzteile waren morsch, kein tolles Eichenfachwerk. Auf dem Dach war Asbest. Alleine die Asbestsanierung kostet so viel. Die Käuferin musste da auf jeden Fall einen finanziellen Beitrag leisten. So sind wir uns dann Stück für Stück einig geworden. Ich hätte mich so geärgert, wenn wir das nicht komplett abbauen. Vor allem als wir dann gemerkt haben, das alles mit Lehmmörtel vermauert war und sich extrem gut rückbauen lässt. Zuerst dachte ich: Ok, wir bauen zehn Paletten ab, so für unseren Bedarf, wenn wir Fachwerksanierung machen. Aber schnell war klar, wir müssen mehr machen. Es wäre so schade, wenn das alles wieder auf den Schutt geht. Dann habe ich nochmal Kontakt aufgenommen und gesagt: Wir würden doch mehr zurückbauen und so hat sich das entwickelt. Jetzt bauen wir ab März immer mehr zurück. 


Und ihr rettet in erster Linie die alten Ziegel? Oder auch Fenster und Türen?


Genau, Fenster, Türen und Altholz bauen wir auch aus. Natürlich ist auch viel Material dabei, gerade beim Holz, was nicht mehr erhaltenswert ist. Aber auch da ist immer wieder was dabei, was sich lohnt und was ich erstmal einlagere.



Warum macht ihr das? Warum ist Recycling oder zirkuläres Bauen eurer Meinung nach so wichtig?


Naja, ich wohne direkt neben einem Sägewerk und sehe also oft, was so an Holz bei mir zuhause vorbei transportiert wird. Dann ist in unserem Ort noch ein ziemlich großes Abbruchunternehmen, gehört zu den zehn größten weltweit. Sie haben einen Recyclingplatz, wo wir auch mal Sachen hinbringen. Wir sehen also täglich, wie viel Neumaterial auf der einen Seite verkauft und wie viel Altmaterial auf der anderen Seite einfach weggerissen und verschrottet wird. Alles unter großem Maschinen- und auch Transporteinsatz. Ständig rasseln da Vierzigtonner lang. Außerdem sieht man bei uns viele Abrissprojekte. Wenn ich an einer alten Scheune vorbeifahre und der Bagger ist gerade dabei, das Dach herunterzunehmen und grob Holz und Steine zu sortieren, denke ich sofort: Da muss ich heute unbedingt nochmal vorbei und mit dem reden, dass wir uns da noch ein paar Materialien rausziehen. Meistens schaff ich das gar nicht in meinem Alltag und am nächsten Tag beginnt schon der Abtransport. An diese alten und originalgetreuen Materialien dran zu kommen, ist gar nicht so einfach, weil das in unserer rationalisierten und ökonomisierten Gesellschaft so schnell weg ist! Da ist teilweise super Material dabei wie Balken mit Querschnitten in zehn Meter Länge. Die gehen dann halt einfach auf den Müll und werden verbrannt.


Das erinnert mich alles etwas an Lebensmittelrettung, die Containern-Bewegung und das daraus entstandene Foodsharing. Sind die Baustoffretter:innen denn auch untereinander vernetzt und sagen sich gegenseitig Bescheid?


Es gibt eigentlich in jedem Bundesland historische Baustoffhändler. Das ist jetzt nichts wirklich neues. Das gibt es schon zwanzig Jahre. Ziemlich bekannt ist der Ziegelhof Kalleby. Der handelt fast nur Backsteine und ein paar alte Türen. Kalleby hat mittlerweile über 150 verschiedene alte Formate auf seinem Platz liegen und ein Lager für über 100.000 Steine. Damit kann er natürlich fast jeden Kunden bedienen. Dafür hat er zwanzig jahre gebraucht. Es gibt eine ganze Reihe historischer Baustoffhändler. In unserem Landkreis bzw. in unserer Ecke gibt es eigentlich noch niemanden, erst ca. 100 km weiter. Wir wären hier also die ersten, die das auf diese Weise betreiben würden und könnten, weil hier viel Altbausubstanz ist, der dann auch meistens eher zurückgebaut wird bzw. verschrotten wird. Ich hatte tatsächlich überlegt, mich mehr mit dem Abbruchunternehmen zu vernetzen, weil ich denen ja auch arbeit abnehme. Die sparen ja auch einfach Geld. Man muss ja diese Anreize schaffen. Speziell in meinem Landkreis ist vieles noch nicht so angekommen. Wir haben eine schwarz-gelbe Kommunalpolitik, die Leute sind also sehr konservativ, Nachhaltigkeit ist noch kein großes Thema. Hier regiert der Slogan “Geiz ist geil”. Da wo wir gerade zurückbauen, die wollten zum Beispiel auch einfach nur Geld sparen.


Wir finden toll, was ihr macht und dass wir die Steine nun in unserem Onlineshop haben. Was passiert denn nach dem Rückbau erstmal mit den Steinen?


Wir putzen sie und setzen sie direkt auf eine Palette. Danach transportieren wir sie auf unseren nicht weit entfernten Platz und da werden sie dann erstmal gelagert. Ich verkaufe und verarbeite sie selber und wir vertreiben sie über den Lehm-Laden. 


Hallo Raffael, hier ist David. Ich bin gerade reingekommen. Ich habe gerade deinen Fußboden verkauft.


Hallo David, wirklich? Das ist ja total schön. Super! Danke!


Es funktioniert! Du hattest gesagt, dass ihr euch so gefreut habt als ihr gemerkt habt, dass alles mit Lehmmörtel gemauert war und dass das ausschlaggebend war für eure Entscheidung, das komplette Haus rückzubauen. Warum ist Lehmmörtel so wichtig für die Recyclingfähigkeit von Gebäuden?


Dadurch, dass sie auf Lehm gesetzt sind, lassen sich die Steine extrem gut lösen. Bei anderen Materialien, selbst bei Kalk, lässt sich der Stein zwar immer noch rückbauen, aber schon schwieriger. Man braucht mehr Kraft und Hammerschläge bzw. vielleicht sogar einen kleinen Stemmhammer. Weil der Kalk ja nunmal abbildet und der Lehm “nur” trocknet. Beim Zement ist es so: Sobald Steine in Zement gesetzt sind, sind sie quasi nicht mehr rückbaubar, weil sie so stark verklebt sind, vor allem nicht, wenn wir einen weichen Backstein haben. Da geht der Stein ganz schnell kaputt. Bei Lehm ist es sogar so, dass der Stein sich fast absammelt lässt. Ein paar Schläge mit einem großen Gummihammer auf die obere Reihe reichen, um die Steine aus ihrem Mörtelbett zu befreien. Dann nimmt man den Stein, kratzt einmal mit dem Spachtel drüber und entfernt die Mörtelreste und fertig. Beste Wahl was C2C angeht. 


Was würdet ihr euch für die Zukunft des Bauens wünschen?


Ich würde mir wünschen, dass bei Bauleuten vermehrt ein Bewusstsein entsteht, dass es nicht wichtig ist, goldene Wasserhähne zu haben und was dahinter ist, ist eigentlich egal. Ich habe den Eindruck, viele Betriebe arbeiten so, weil es auch vielen Leuten das Wichtigste ist, dass es am Ende chic oder repräsentativ aussieht. Wie die Qualität dahinter ist, ist egal oder das Budget ist an anderer (meiner Meinung nach falscher) Stelle verbraucht. Die Betriebe, die so arbeiten, sind erfolgreich. Wenn die Bauleute Prestige nicht so sehr in den Vordergrund stellen würden und mehr Bewusstsein für Qualität, Kreisläufe und den Lebenszyklus von Baustoffen hätten, dann könnte sich ganz viel automatisch ändern. Es sind nicht nur die Baubetriebe, die schlecht bauen, sondern auch die Kund:innen, die es so wollen.


Lieber Raffael, vielen Dank für das spannende Gespräch!


Sehr gerne! Vielen Dank für Euer Interesse!


Gemeinsam und gesund
Ein Besuch bei dem Wohnprojekt 'querbeet' in Lüneburg