Das Wohnprojekt querbeet in Lüneburg gilt als Vorzeigeprojekt für gemeinschaftliches und gesundes Wohnen. Seit 2021 werden zwei Mehrfamilienhäuser nach Kfw 40+ Standard mit insgesamt 38 Wohnungen gebaut, von denen das erste voraussichtlich diesen Herbst bezugsfertig ist. Die Baugruppe besteht derzeit aus 54 Erwachsenen und 15 Kindern.
Bei der Planung und Umsetzung des Projekts lag der Fokus auf der ökologischen Bauweise aus Holz, Stroh und Lehm. Außerdem engagiert sich das Projekt für gemeinschaftliches Wohnen und Leben: Es gibt viele Gemeinschaftsflächen, die von allen zum Spielen, für Feste oder für Zusammenkünfte der Gemeinschaft genutzt werden können. Außerdem gibt es einen Open-Space, der für Co-Working, Coachings oder Seminare gemietet werden kann. Der gemeinschaftliche Aspekt ist den meisten Bauleuten ebenso wichtig wie die ökologische Bauweise.
Das Projekt als Reaktion auf die Klimakrise
Die strohgedämmten Holzgebäude sind von innen mit Lehm und von außen mit Kalk verputzt, was viele Vorteile gegenüber konventionellen Gebäuden bietet. Es werden überwiegend erneuerbare Rohstoffe verbaut, weshalb die Häuser eine hervorragende Ökobilanz haben. Stroh und Lehm bieten außerdem eine sehr gute Wärmedämmung sowie ein gesundes Innenraumklima. Insgesamt sind die Gebäude also um einiges gesünder, energieeffizienter und umweltfreundlicher als herkömmliche Neubauten.
Neben einem ökologisch verantwortungsvollen Bauen ist es vor allem die Reduktion der Wohnfläche pro Person, die eine positive Auswirkung auf den Klimaschutz hat. Der Flächenverbrauch pro Person steigt kontinuierlich und führt bei gleichzeitigem Bevölkerungswachstum zu immer mehr Bodenversiegelung. Durch die verschiedenen Gemeinschaftsflächen kann die individuelle Wohnfläche pro Person in Wohnprojekten reduziert und wertvolle Ressourcen besser genutzt werden: Ein Co-Working-Space ersetzt viele Arbeitszimmer. Zudem kann er unnötige Fahrwege reduzieren und ggf. die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie verbessern. Eine gemeinsam genutzte Werkstatt spart ebenfalls individuellen Wohnraum. Auch die gemeinsame Nutzung von Fahrzeugen oder Elektrogeräten kann dazu beitragen, den ökologischen Fußabdruck von vielen Menschen zu reduzieren.
Quelle: https://querbeet-lueneburg.de/das-projekt/gemeinschaftsflaechen/
Zusammenarbeit mit deltagrün, planW und dem Lehm-Laden
Ganz anders als üblich gab es das Bauvorhaben bereits vor der Baugruppe. Das Architekturbüro deltagrün hat sich mit dem Baugruppenkoordinator planW zusammengetan, um im Hanseviertel ein Gemeinschaftsprojekt entstehen zu lassen, welches auf nachhaltigen und gesunden Materialien basiert.
Wir haben den Architekten Adrian Nägel auf der Baustelle getroffen, der seit etwa fünf Jahren bei deltagrün arbeitet und den Bau im Hanseviertel gemeinsam mit Dirk Scharmer begleitet. Das Architekturbüro ist auf strohgedämmte Holzgebäude spezialisiert. Der Gründer Dirk Scharmer baut seit 20 Jahren umweltfreundliche und gesunde Häuser und gilt als wichtiger Streiter für den Strohballenbau in Deutschland, der seit kurzem als Alternative zu Stahl und Beton immer gefragter wird. Mehr Menschen suchen nach umweltfreundlichen und nachhaltigen Möglichkeiten, sodass Stroh ebenso wie Lehm an Beliebtheit gewonnen hat. Beide Architekten sind der Überzeugung, dass “Gebäude aus nachwachsenden Rohstoffen der einzige Weg sind, wie wir noch neu bauen dürfen. Klimagerechter Neubau geht nur mit nachwachsenden Baustoffen.”
Ein weiterer Partner bei der Umsetzung des Projekts ist der Lehm-Laden in Hitzacker, der die steigende Nachfrage nach ökologischen Baustoffen in den letzten Jahren deutlich gespürt hat und von einem kleinen Laden zum größten Onlineshop mit reinem Ökobausortiment gewachsen ist. Der Lehm-Laden hat die Baugruppe in engem Kontakt mit Architekten und Handwerker:innen bei der Auswahl der Baumaterialien unterstützt und berät die Bewohner:innen und den beauftragten Maler regelmäßig im Ladengeschäft in Hitzacker oder am Telefon.
Energiekrise und Baukostensteigerung während des Bauens
Aus ökologischer Überzeugung hat die Gruppe von Anfang an eine längere Bauzeit und etwas höhere Kosten in Kauf genommen. Viele Menschen denken, nachhaltiges Bauen sei wahnsinnig teuer. Dem stimmt Adrian Nägel nur sehr bedingt zu: “Tatsächlich ist es so, dass eine strohgedämmte Holzwand mit Lehmputz innen und Kalkputz oder Holzverschalung aussen natürlich erstmal teurer ist als irgendeine Kalksandsteinwand mit Kunststoffdämmung, aber erstens hat sie eine ganz andere Qualität und zweitens hat sie auf die Gesamtkosten eine relativ geringe Auswirkung. Hier bewegen wir uns im mittleren Feld der Baukosten.”
Die Corona-Pandemie, der Krieg gegen die Ukraine, die Inflation und die gestiegenen Zinsen haben wie vielerorts dazu geführt, dass die Baukosten während der Bauphase um etwa 20% gestiegen sind. Obwohl Stroh der Dämmstoff ist, dessen Preis am wenigsten gestiegen ist, haben die Baukostensteigerung und vor allem die Zinserhöhungen die Baugruppe sowie viele andere Bauleute in Bedrängnis gebracht: “Als die Bewohner:innen sich für das Projekt entschieden haben, waren die Zinsen noch bei unter 1% und plötzlich wurden ganz andere Zinsen aufgerufen. Wenn diese Entwicklung anhält, werden wir große Probleme bekommen, überhaupt noch neu bauen zu können. Insbesondere die Erhöhung der Zinsen, der Preis des Bodens und dann noch die Baukosten. Das ist für immer weniger Menschen finanzierbar”, befürchtet Adrian Nägel. Die Baugruppe von querbeet hat konsequent ökologisch und solidarisch auf diese Herausforderungen reagiert. Zum Beispiel wurde größtenteils erdfeuchter Lehm verputzt, der in der Herstellung energieärmer und folglich auch günstiger ist als getrockneter Lehm. Außerdem hat sich eine AG gegründet, die Privatkredite organisiert hat, sodass bisher keine:r wegen der Mehrkosten das Projekt verlassen musste.Gemeinschaftliches Wohnen als Konsequenz aus der Einsamkeitserfahrung während der Coronapandemie
Das Wohnkonzept von querbeet basiert auf der Überzeugung, dass ein Leben in der Gemeinschaft gesünder und erfüllender ist als ein isoliertes Leben. Die Coronapandemie hat viele Lebensformen in Frage gestellt. Singles und Paare sind ebenso an ihre Grenzen gekommen wie Kleinfamilien und viele Menschen haben den Entschluss gefasst, weniger vereinzelt leben zu wollen. Ein Leben in Gemeinschaft ermöglicht es, vor allem in schwierigen Zeiten besser füreinander sorgen zu können. Die Pandemie hat sich massiv auf das Wohnen ausgewirkt, beobachtet auch Adrian Nägel: “Das Thema Home-Office hat sehr an Bedeutung gewonnen. Zudem haben die Menschen gemerkt, wie wertvoll nicht privatisierte Außenflächen sind. Hier bei querbeet könnte man halt auch während einer Pandemie rausgehen, den Innenhof nutzen und Menschen begegnen. Es gibt Möglichkeiten zur Interaktion, was man halt in einem klassischen anonymen und investorengerechten Gebäude nicht hatte.” Neben der ökologischen Bauweise aus Holz, Stroh und Lehm begeistern sich Dirk Scharmer und sein Team schon lange für gemeinschaftliche Wohnprojekte. So sind bereits mehrere Gebäude im Ökodorf Sieben Linden und das Wohnprojekt am Speicherbogen in Lüneburg realisiert worden: “Wir versuchen immer die Gemeinschaft in den Fokus zu stellen. Die Gemeinschaft macht einen wichtigen Teil der Architektur aus, die sich zum Zentrum, zur Gruppe hin ausrichtet.” Bei querbeet spielen die Haupteingänge, so erklärt uns Adrian Nägel, eine entscheidende Rolle: “Dadurch dass sie zum Zentrum gerichtet sind, und es diesen Innenhofbereich gibt, gibt es einen sehr starken Bezug. Die Gruppe bezieht sich aufeinander mit den Gebäuden. Gleichzeitig gibt es eine Durchströmung durch die beiden Eingänge von Norden und von Süden, die das Ideal einer offenen Gemeinschaft architektonisch dargestellt.” Es gibt diverse Flächen zur Begegnung im Gebäude, vor dem Gebäude und um das Gebäude herum. Neben Innenhof und Garten gibt es größere Flurbereiche, eine Art Foyer und gemeinschaftiche Dachterrassen. Die Terrassen und Balkone der einzelnen Wohnungen richten sich nach Möglichkeit auch zur Gemeinschaft hin.
Quelle: https://querbeet-lueneburg.de/
Ein lehrreicher Ort für Jung und Alt
Die Gruppe hat sich querbeet genannt, weil sie Gemeinschaft immer als vielfältig versteht. Die Bewohner:innen glauben fest daran, dass Menschen unterschiedlichen Alters und Hintergrunds viel voneinander lernen und profitieren können. Für Menschen aller Generationen sei die Vielzahl an Lebensformen, Meinungen und Werten ein Gewinn. Sie können viel Kompromissbereitschaft, Toleranz und einen wertschätzenden Umgang miteinander lernen oder eben nicht verlernen, findet Heike Virchow, die sich auf das Wohnen in Gemeinschaft freut und uns in Hitzacker besucht hat.
Wir vom Lehm-Laden finden die Stärke des Projekts liegt darin, dass es zwei an sich simple und doch häufig vergessene Tatsachen anerkennt: Menschen brauchen zum einen andere Menschen und zum anderen die Erde als ihre gemeinsame Lebensgrundlage. Wir wünschen der Baugruppe, dass ihr Traum von einer offenen Gemeinschaft in einem gesunden Wohnumfeld ganz bald in Erfüllung geht.